Ich sitze in der Garderobe, betrachte mein Spiegelbild und spüre wie langsam die Nervosität, wie immer vor einem Auftritt vor größerem Publikum, in mir aufsteigt. Das Herz fängt merklich schneller an zu pochen und ich spüre förmlich wie das Blut in meinen Adern pulsiert. Der Kaffee ist nicht mehr wirklich heiß und schmeckt schon leicht bitter aber er gehört einfach dazu. Er ist ein liebgewonnenes Ritual genauso wie ein Zug an der Zigarette und das eine Paar grauer Wollsocken das ich zum Auftritt stets trage. Ich lasse den weißen nikotinhaltigen Qualm langsam von mich ziehen und verliere mich in dem Augenblick. Ich schaue dem Dunst nach ehe er sich im Nichts verliert. So finde ich ein wenig Ruhe und Ablenkung.
Wie wird wohl heute das Publikum sein? Werden Sie mitfiebern, an den richtigen Stellen lachen? Werden Sie überhaupt lachen? Ein Blick auf die Uhr verrät mir das es Zeit ist die Schminke aufzutragen. In einer halben Stunde hebt sich der Vorhang. Da kommt Sie schon wieder hoch in mir – die Nervosität, die ich doch gerade noch gemeint hatte in den Griff bekommen zu haben. Strahlend hell leuchten die Strahler des Spiegels, gleißend hell wie die Scheinwerfer gleich auf der Bühne. Alles ist perfekt ausgeleuchtet. Nur keinen Fehler machen – nichts bleibt unentdeckt – kleine Schweißtropfen bahnen sich ihren Weg auf meiner Stirn.
Ich muss aufstehen, mich bewegen – ich laufe einfach diese Anspannung aus meinen Gliedern denke ich mir. Und wo ich doch gerade stehe, könnte ich doch auch gleich noch das Kostüm anziehen. Ich mag mich hier in der Garderobe mit all den anderen nur nicht entblößen. Nein prüde bin ich nicht, auch nicht verklemmt. Ich mag es nur einfach nicht mich vor anderen auszuziehen und schon gar nicht vor Ihr. Hat sie mich gerade angelächelt. Danke Schicksal ich bin doch schon aufgeregt und nervös genug. Ich lächle mal hastig zurück und bin recht froh hinter dem Paravent ein wenig Abgeschiedenheit und Privatsphäre zu finden. Jetzt nur die Ruhe bewahren – langsam aus der einen Hose raus und in die andere ziemlich bunte hinein. Aber langsam nicht das noch eine Naht reißt durch irgendeine zu übereilte Handlung.
Puhh.. alles unfallfrei überstanden, einmal kurz durchatmen. Der erste Gong im Saal ertönt und es bleibt somit noch ein wenig Zeit. Wie war doch noch gleich meine erste Passage im ersten Akt. Ich bin heute wirklich ziemlich zerstreut. Schnell nochmal zum Schreibtisch und einen Blick in das Drehbuch werfen.
Mir fällt wohl heute zum ersten Mal auf, das in unserer Garderobe meine Schreibtischleuchte auch als Hängeleuchte und Stehleuchte zu finden ist. Gab es das Set zum Sonderpreis frage ich mich und rüffel mich bei dem Gedanken schon wieder selbst. Konzentriere dich jetzt auf das Wesentliche sagt mir meine „innere“ Stimme. Ein wirklich schönes, klassisches Design im industriellen Stil der 30-er erwidert dann wohl das Teufelchen auf der anderen Schulterseite. Diesen interessanten Dialog unterbricht abrupt ein Zettel den meine Augen im Schein der Lampe wahrnehmen. Eine feminine Handschrift, weich mit kleinen Schnörkeln verziert und zugleich schwungvoll charismatisch hat hier ein „Lust auf ein Glas Wein nach dem Auftritt?“ hinterlassen. Ich Blicke mich um und schaue wieder in dieses verführerischste Lächeln welches ich je sah. Ihre Augen fragen mich nochmals, ob ich denn Lust hätte und ich ertappe mich dabei wie mein Kopf nickt.
Lauter Glücksgefühle lassen mich bis zum dritten Gong wie in Zuckerwatte gepackt dahinschweben. Ich scheine die Treppe hinauf zur Bühne zu fliegen. Schnell noch mein wichtigstes Utensil zur Hand nehmen und schon öffnet sich der Vorhang und donnernder Applaus und das Getose hunderter Kinderstimmen schallt mir entgegen. Und so beginnen wir nun unser Puppenstück in dem ich hingebungsvoll den alten braunen Bären gebe. Vielleicht täusche ich mich, aber es kam mir so vor als hätte mir Frau Dachs kurz vor Ende des Stückes einen Klapps auf den Hintern gegeben.
Ich komme mir noch immer wie im Märchen vor als ich mich im „Dachsbau“ wiederfinde und meine Herzdame mir ein Glas Rotwein reicht und dieses mit einem zarten Kuss auf meine Wange garniert. Einfach mal den Moment geniessen und sich treiben lassen sage ich mir und Frau Dachs und Herr Bär stellen schnell fest, das die Wellenlänge einfach stimmt und es ganz sicher nicht das letzte gemeinsame Glas Wein sein wird. Die Stunden fliegen nur so dahin und wir scheinen endlos zu reden und bemerken erst wie spät es bereits ist als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster brechen. Für mich scheint es nicht nur ein neuer Tag zu sein der dort anbricht – es ist vielleicht ein ganz neues Leben. Ich spüre Tatendrang und Glückseligkeit in mir und ziehe Frau Dachs fest an mich, um Ihr ein „Guten Morgen“ ins Ohr zu hauchen. Ich weiß in diesem Moment nicht wer schöner strahlt – die Sonne, Frau Dachs oder ich der Bär. Erst viel später komme ich dazu Ihr Wohnzimmer wirklich wahrzunehmen und die Einrichtung, Möbel und Accessoires in Augenschein zu nehmen. Da fallen mir die Stühle oder sind es schon Sessel im Retro Design der 60-er Jahre sofort ins Auge. Sie erinnern mich an die Möbel meiner Eltern und damit an meine Kindheit. Meine Augen wandern nahezu automatisch in Richtung Gardinen und sie sind ganz froh hier neuzeitlichere Designs zu finden.
Aber irgendwie passen diese Sessel zu Frau Dachs stelle ich fest. Ein zierliches Gestell und ein paar kurvige Kissen an den richtigen Stellen sind ja auch einfach reizvoll und ich erwische mich nun dabei, wie meine Blicke zwischen Frau Dachs und diesen Retro Sitzgelegenheiten hin- und herpendeln und ich kann mir ein schmunzeln nicht verkneifen. Aus diesem Blickwinkel habe ich Möbel nun wirklich noch nie gesehen. Abgesehen von diesen inspirierenden Stühlen weckt noch ein Regal meine Aufmerksamkeit. Es ist zum einen die Schlichtheit die mich hier innehalten lässt aber auch der Inhalt. Das ein oder andere Buch kommt mir allzu bekannt vor. Ein paar Souvenirs der dachsischen Reiseunternehmungen finden sich hier auch und wecken die Neugierund den Wunsch in mir noch viel mehr von ihr zu erfahren.
Als Frau Dachs nun noch mit 2 Lampen an Ihrer Stirn aus dem Schlafzimmer kommt, welche Sie die Metamorphose vom Dachs zur Ameise haben erleben lassen muss ich laut losprusten vor lachen. Es sieht einfach zu komisch aus, wie diese beiden leuchtenden Fühler ihren hübschen Konterfei zieren. Eins steht jedenfalls fest – die Frau hat Humor und ist zumindest genauso verrückt wie ich. Was für ein Tag – ich habe so Lust auf`s Leben.
Wohnst Du noch oder lebst Du schon? Diese Frage ist für heute definitiv beantwortet!
Es grüßt Euch
Euer Karsten